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Stellungnahme zum geplanten Selbstbestimmungsgesetz
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Ein großer Schritt für trans*, inter und nicht-binäre Menschen
Als psychosoziale Fachberatungsstelle für inter*, trans* und nichtbinäre Personen begrüßen wir die geplante Abschaffung des Transsexuellengesetzes und Einführung eines Selbstbestimmungsgesetzes, wie im Juni 2022 von den Bundesministerien für Familie sowie Justiz in Eckpunkten vorgestellt. Wir möchten den Transgender Day of Visibility (TDoV) am 31. März zum Anlass nehmen, die Wichtigkeit dieses Projekt noch einmal zu betonen.
Eine dringend notwendige Neufassung
Das 1981 eingeführte Transsexuellengesetz, das mittlerweile in großen Teilen vom BVerfG für grundgesetzwidrig erklärt wurde, hat über die Dauer seines Bestehens zahllosen Menschen irreparables psychisches, emotionales und körperliches Leid zugefügt und durch die ihm inhärente Pathologisierung und Entmündigung von inter*, trans* und nichtbinären Menschen deren Leben, Würde und gesellschaftliche Teilhabe fundamental beschädigt. Das geplante Selbstbestimmungsgesetz hingegen soll es Menschen ermöglichen, ihre amtlichen Vornamen und Personenstände hinsichtlich ihrer tatsächlichen Identität zu korrigieren – ohne dabei auf kostspielige Gerichtsverfahren, demütigende Anhörungen und oft (re-) traumatisierende Begutachtungen angewiesen zu sein.
• Vereinheitlichung der Verfahren: Immens begrüßenswert ist des Weiteren, dass mit dem Selbstbestimmungsgesetz die entsprechenden amtlichen Verfahren für inter*, trans* und nichtbinäre Menschen vereinheitlicht werden, nachdem diese Gruppen zu lange unnötig komplizierte, schwer gangbare und bevormundende Sonderregelungen befolgen mussten. Stattdessen wird nun endlich eine unkomplizierte, würdevolle, selbstbestimmte Änderung von Vornamen und Personenstand für alle Erwachsenen möglich.
• Geschlecht nicht mehr an körperliche Merkmale gebunden: Dass in Zukunft die amtliche Erfassung des Geschlechtes nicht mehr an körperliche Merkmale gebunden sein soll, entspricht sowohl den Maßgaben des BVerfG als auch dem biologischen, soziologischen und psychologischen Wissensstand über menschliche Geschlechtlichkeit. Hierdurch bewegt sich Deutschland heraus aus einer langen Zeit rückständiger und repressiver Geschlechtsnormen und hinein in die Werte einer offenen, diversen und freien Gesellschaft. Nicht zuletzt folgt Deutschland mit der Einführung eines Selbstbestimmungsgesetzes – wenngleich verspätet – der 2015 veröffentlichten Resolution 2048 des Europarats bezüglich Diskriminierung gegenüber trans* Menschen.
• Offenbarungsverbot: Das geplante Offenbarungsverbot schützt Personen, die das Gesetz in Anspruch nehmen, vor Angriffen und Demütigungen sowohl seitens Einzelner als auch seitens Institutionen und ist insofern eine „conditio sine qua non“ für die geplante Gesetzgebung
• Ausbau des Beratungsangebots: Als Fachberatungsstelle mit Peer-Bezug wissen wir besonders zu schätzen, dass das Beratungsangebot für Inter*, trans* und nichtbinäre Personen ausgebaut und allen Personen zur Verfügung stehen soll, die es in Anspruch nehmen möchten. Hier gilt es, signifikante Versorgungslücken zu schließen, bestehende Angebote auszubauen, weitere zu schaffen und zu gewährleisten, dass insbesondere Kinder und Jugendliche unkomplizierten, niedrigschwelligen und zeitnahen Zugang zu qualifizierter Beratung, Begleitung und Unterstützung erhalten.
• Anerkennung und Entschädigung: Die geplante Anerkennung und Entschädigung von trans* und inter* Personen, die unter der bestehenden Gesetzgebung körperliche und seelische Verletzungen erfahren haben, ist ein guter erster Schritt in einem Heilungsprozess für Communities und Menschen, deren Würde und Unversehrtheit zu lange von der Mehrheitsgesellschaft ignoriert und beschädigt wurden.
Was wir kritisch sehen
Sehr kritisch sehen wir als Trans*Inter*Beratungsstelle die Einschränkung der geschlechtlichen Selbstbestimmung für Minderjährige ab 14 Jahren, die nur mit Zustimmung der Sorgeberechtigten oder nach Entscheidung des Familiengerichts die Möglichkeit zur Änderung ihrer Einträge erhalten sollen. Insbesondere vor dem Hintergrund des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes (KJSG) halten wir es für dringend angebracht, der Entscheidungsfähigkeit junger Menschen hinsichtlich ihrer eigenen Identität und ihres Selbstverständnisses Rechnung zu tragen, indem ihnen eine ebenso selbstbestimmte Korrektur von Namen und Personenstand ermöglicht wird, wie volljährigen Personen. 64% der trans* Menschen in Deutschland waren sich vor dem 14. Lebensjahr darüber bewusst trans* zu sein (FRA LGBT Survey II 2020). Diese Position wird gestärkt durch den aktuellen Stand empirischer Forschung zu Transitionen im Kindes- und Jugendalter (vgl. Olson, Durwood et al. 2022: „Gender Identity 5 Years After Social Transition“).
Bisher gar nicht thematisiert wurde die mögliche Gültigkeit des Selbstbestimmungsgesetzes für nicht-deutsche Staatsbürger*innen, insbesondere Geflüchtete, die gerade im Falle unsicherer Herkunftsstaaten darauf angewiesen sind, dass eine unkomplizierte Änderung ihrer Personendaten vollzogen werden kann, um vor Diskriminierung und Ausweisung in Verfolgerstaaten geschützt zu sein. Hier sehen wir Klarstellungsbedarf.
Der Transgender Day of Visibility (TDoV) und das Selbstbestimmungsgesetz:
Der TDoV setzt sich seit 2014 für die Sichtbarkeit von Transgender-Identitäten ein und den Respekt, die Akzeptanz und Unterstützung von Transgender-Personen. An diesem Tag teilen sie ihre Geschichten und Erfahrungen mit der Öffentlichkeit. Der TDoV zeigt die Stärke und den Mut der Transgender-Community, während das Selbstbestimmungsgesetz den gesetzlichen Rahmen für ein Leben in Selbstbestimmung und Würde gibt.
Unser Fazit
Wir blicken einer Abstimmung über und hoffentlich Verabschiedung des Selbstbestimmungsgesetzes erwartungsvoll entgegen und hoffen darauf, es als großen Schritt in Richtung der Öffnung unserer Gesellschaft für inter*, trans* und nichtbinäre Menschen begrüßen zu können.