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Rede zum Drogentotengedenktag am 21. Juli von Mario Simeunovic

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Liebe Freundinnen und Freunde,

das Thema für meinen Redebeitrag zum Drogentotengedenktag ist: „Der strafende Staat – Die Verweigerung der medizinischen Behandlung eines chronisch Opiatabhängigen als Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.“ Bezug nehme ich hier vor allem auch Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Dort heißt es unter der Überschrift „Verbot der Folter“: „Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“ 

Wie in meinen Redebeiträgen anlässlich des Drogentotengedenktags in den vergangenen Jahren, geht es auch in diesem Jahr um das Thema der angemessenen medizinischen Behandlung von chronisch Opiatabhängigen in bayerischen Haftanstalten. Opiatabhängigkeit ist mittlerweile in medizinischen Kreisen – wie auch der Bundesärztekammer – eine anerkannte, chronische Erkrankung. Eine Heilung im Sinne von dauerhafter Abstinenz ist vielfach ausgeschlossen. Die Versorgung mit Drogenersatzstoffen oder der Droge selbst – Substitution genannt – ist somit die einzige Möglichkeit, die Betroffenen aus der Illegalität zu holen und ihnen eine soziale und wirtschaftlich stabile Existenz zu ermöglichen. 

Trotz dieser allgemein anerkannten, medizinischen Erkenntnis, stellen bayerische Haftanstalten immer noch einen Raum dar, in dem das nicht oder nur mit großen Einschränkungen gilt. Und leider haben auch die vielen Unterschriften bei unserer Sammelaktion nicht dazu geführt, dass sich die Situation von Drogengebraucher_innen hinsichtlich der Behandlung mit Ersatzstoffen, der sogenannten Substitution, sowie dem Zugang zu sterilen Spritzen oder Kondomen in Haft merklich verbessert hätte. 

Das belegt auch ein aktueller Fall, bei dem ein Drogengebraucher eine sechswöchige Ersatzfreiheitsstrafe antreten musste, weil er ohne gültigen Fahrausweis in einem öffentlichen Verkehrsmittel angetroffen wurde. Selbst in einem so überschaubaren Haftzeitraum von sechs Wochen kann seitens der Haftanstalt nicht einfach die medizinische Behandlung, die Substitution, einfach fortgeführt werden. Nein, die Ersatzmitteldosis muss verringert werden, der Patient wird runterzusubstituieren, ungeachtet der körperlichen Leiden, die dies bei ihm verursacht. 

Nachdem wir in Bayern auf dem Gebiet der Substitution in Haft schon seit vielen Jahren auf der Stelle treten, entschloss sich die Münchner Aids-Hilfe, gemeinsam mit der Augsburger Aids-Hilfe und einem Münchner Sozialpädagogen einem Betroffenen die Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu ermöglichen, indem wir seine Anwalts- und Prozesskosten vorfinanziert haben. 

Bei dem Beschwerdeführer handelt es sich um einen langjährig chronisch Opiatabhängigen, dem in bayerischen Haftanstalten eine besonders entwürdigende und schmerzhafte Behandlung widerfuhr. Obwohl er sich zu Haftbeginn bereits seit 17 Jahren in Substitutionsbehandlung befand, wurde er bei Haftantritt kalt entzogen, das heißt: Er erhielt von einem Tag auf den anderen keine Ersatzstoffe mehr. Das führte zu massiven Nervenschmerzen, die mit herkömmlichen Schmerzmitteln nicht behandelt werden konnten. Zur Linderung seiner Schmerzen konsumierte er illegal in der Haftanstalt besorgtes Heroin. Dies wurde bei einer Untersuchung nachgewiesen. Das hatte zwei Folgen: 
1. Konnte ein Substitution nun wegen des „Beikonsums“ abgelehnt werden.
2. Wurde eine Hepatitis-Behandlung ebenfalls abgelehnt, weil diese im Fall von Opiatabhängigkeit die Substitution voraussetzt. 

Ich werde die Geschichte abkürzen. Die Verweigerung der Substitution in Haft stellt zum einen Verstoß gegen das Folterverbot, wie auch eine Verletzung des geschützten Privatlebens des Betroffenen nach Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, dar. 

Dass unsere Beschwerde vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angenommen wurde, macht uns Hoffnung. Ernüchternd ließt sich hingegen die zwischenzeitlich erfolgte Stellungnahme, welche die dazu Bundesregierung abgegeben hat. Ich möchte daraus zwei Stellen zitieren... 

„Bei der Substitutionsbehandlung eines Patienten in Haft sind neben medizinischen und betäubungsmittelrechtlichen auch Aspekte des Vollzugs zu beachten (…), da es sich nicht um eine rein medizinische Maßnahme, sondern um eine des Vollzugs handelt (…) Dem haben die Justizvollzugsanstalten in ihrem Bescheid vom 16. Januar 2012 sowie die gerichtlichen Entscheidungen Rechnung getragen. In dem Bescheid wird die Resozialisierung des Beschwerdeführers als Vollzugsziel benannt (…) und eine Substitution vor diesem Hintergrund als nicht geboten erachtet. Dem Sicherheitsinteresse der Anstalt sowie dem Interesse, mithilfe eines dichtmaschigen Betreuungsnetzes eine Abstinenz des Beschwerdeführers zu erreichen, wurde unter Berücksichtigung des Resozialisierungs- und Behandlungsvollzugs der Vorzug gegeben.“ 

Substitution ist für die Bundesregierung also ein Hindernis bei der Resozialisierung! 

An anderer Stelle heißt es: „Zuletzt ist bei der Beantwortung der Frage, ob eine unmenschliche oder erniedrigende Handlung seitens der Behörden vorliegt, auch zu berücksichtigen, dass die Erkrankung des Beschwerdeführers – Drogenabhängigkeit, HIV- und Hepatitis-Infektion – nicht auf staatliches Handeln zurückzuführen sind (…) Hier kommt überraschend und in aller Deutlichkeit die menschenverachtende Haltung vom bayerischen Vollzugs zum Ausdruck. Übersetzt heißt das: „Selber Schuld! Sieh doch zu, wie Du mit Deinen Erkankungen klar kommst!“ 

Was sagt uns nun die Tatsache, dass gegen die Verhältnisse in bayerischen Haftanstalten eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte notwendig ist? Sie sagt uns, dass wir in einem Staat leben, der nicht bereit ist, die Natur des Menschen anzuerkennen. Sei es, dass es chronische Suchterkrankungen gibt, die anderer Natur sind als der allseits akzeptierte Alkoholmissbrauch beim Oktoberfest oder auf dem Nockherberg, sei es, weil es Menschen gibt, die nicht in der Zweierverbindung von Mann und Frau leben möchten. 

Hier wird deutlich, dass wir in einer Gesellschaft der Angst leben. Angst vor Menschen, die sich unkontrollierten Rauschzuständen hingeben, vor Menschen, die in ihrer sexuellen Präferenz oder ihrer Identität von der Norm abweichen, oder Menschen, die einen anderen Glauben als den christlichen praktizieren und eine andere Hautfarbe haben. Meint etwa jemand, dass diese inhumane Flüchtlingspolitik einen anderen Grund hat, als die Hautfarbe und Religion der Flüchtlinge, dass es diese Ängste und Abwehrreaktionen auch gäbe, wenn es sich um weiße Christen handeln würde? 

Ihre Andersartigkeit wird einigen Menschen zum Vorwurf gemacht und am Ende gegen sie gekehrt. Sie werden moralisch verdammt, bestraft und geächtet, weil sie Drogengebraucher_innen sind, weil sie fremden Glaubens sind oder auch weil sie arm sind. Unser Sozialgesetzbuch fungiert mittlerweile als verkapptes Strafgesetzbuch. Arme werden mit sogenannten Sanktionen malträtiert, die nichts weniger als ihre materielle Existenz in der Substanz bedrohen, die sie mit Hunger und Wohnungslosigkeit bestrafen. Man meint das Recht dazu zu haben, weil man überzeugt ist, dass diese Menschen für ihre Situation selbst verantwortlich sind. Mag die Arbeitslosenstatistik auch noch so sehr dagegen sprechen. 

Ebenso verhält es sich mit Drogengebraucher_innen. Sie werden als moralisch minderwertig betrachtet. Demgemäß haben sie dann auch das Recht auf angemessene medizinische Behandlung verwirkt. Ärzte, die sich dieser Menschen annehmen, erscheinen von vornherein verdächtig, werden ebenfalls verfolgt und in Misskredit gebracht. Substitutionsärtze im Allgäu können ein Lied davon singen. 

Ich will gar nicht darauf eingehen, inwiefern der Umgang mit Drogengebraucher_innen den Konflikt mit Strafgesetzen geradezu vorprogrammiert. Die hohe Zahl der Insassen von Haftanstalten in Zusammenhang mit Betäubungsmittel- und Beschaffungsdelikten spricht – meine ich – eine deutliche Sprache. Aber nicht genug, dass hier Menschen in die Illegalität und letztlich in die Straffälligkeit gedrängt werden, nein, sie dürfen dann auch noch besonders hart bestraft werden, indem sie auf kalten Entzug gesetzt werden.

Sie müssen unerträgliche Schmerzen in Folge des Zwangsentzugs erleiden und wenn sie sich dann von ihrem Leiden erlösen wollen, indem sie sich auf illegalem Weg Drogen beschaffen, wird dies wiederum als Begründung angeführt, die Behandlung mit Drogenersatzmitteln zu verweigern. Es ist ein zutiefst unmenschlicher Teufelskreis aus Schuld und Strafe, der in bayerischen Haftanstalten dazu führt, dass Drogengebraucher_innen die Menschenrechte verweigert werden. 

Und von Solidarität kein Spur. Der Erwerbslose guckt auf den Flüchtling herab und der Konsument von Kokain und Ecstasy auf den Opiatabhängigen, Es gibt immer noch jemand, der sich auf der gesellschaftlichen Werteskala noch etwas weiter unten befindet, der für die bedrückenden eigenen Verhältnisse verantwortlich gemacht und geächtet werden kann. So können wir keine Gesellschaft aufbauen, die das Recht hat, sich auf Werte wie Nächstenliebe, Menschlichkeit und Solidarität zu berufen. Was wir hier erleben gleicht am Ende dem Dasein auf dem Boden einer Schlangengrube. 

Liebe Freundinnen und Freunde, drückt uns die Daumen für einen Erfolg vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Ich danke Euch für Eure Aufmerksamkeit. Mario Simeunovic .